Inhalt der aktuellen Ausgabe März 2023:
Zur rechtlichen Zulässigkeit der Gründung und Veräußerung von Vorratsgesellschaften mit einer Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung
Wichtige Termine ...
Kündigungen müssen zugegangen sein ...
Europa ist die Zukunft!
Eine Kolumne von Philipp Erik Breitenfeld
Mitarbeiterbindung:
Emotionale Verbundenheit ist entscheidend
Stellenmarkt nach der Corona-Hochphase –
Ein Rückblick auf die Top Branchen im Q4/2022
16. ES-Unternehmerforum für Personaldienstleister am 25. April 2023
Mit Erfahrung in die Zukunft: Trends und Herausforderungen für die Zeitarbeit im Fokus
Randstad Studie
4 Tage statt 5: Jeder dritte Arbeitnehmende hätte gerne einen Vollzeitjob mit verkürzter Arbeitswoche
Zeitarbeitrelevante Mindestlöhne in Euro pro Stunde
Der BAP zum Positionspapier der DKG
Swyter: „Beschränkung der Zeitarbeit in der Pflege verschärft den bundesweiten Pflegenotstand“
„Eine flächendeckende und hochwertige Ganztagsbetreuung in Kitas und Schulen muss Priorität für die Politik werden“
Bundesfinanzhof:
Veräußerungsgewinne bei Kryptowährungen steuerpflichtig
Ausgewählter Artikel der Ausgabe März 2023:
Zur rechtlichen Zulässigkeit der Gründung und Veräußerung von Vorratsgesellschaften mit einer Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung
Die Gründung von Vorratsgesellschaften, die bereits über eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis nach § 1 AÜG verfügen, und deren Veräußerung sind grundsätzlich zulässig. Der Erwerber einer solchen Gesellschaft konnte nach Abschluss des Veräußerungsprozesses direkt operativ in das Überlassungsgeschäft einsteigen, ohne dass vorher der oftmals langwierige Prozess zur Erteilung der Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis durchlaufen werden muss. Die BA hat in der jüngeren Vergangenheit das Modell der Vorratsgesellschaften zumindest geduldet und bei Vorliegen der formellen Voraussetzungen im Übrigen die entsprechende Erlaubnis nach § 1 AÜG erteilt.
In diesem Zusammenhang scheint allerdings ein Meinungswechsel stattgefunden zu haben; die BA lehnt – zumindest im Zuständigkeitsbereich der Agentur für Arbeit Düsseldorf – die Erteilung einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis für Vorratsgesellschaften nun ab.
Gegen diese Ansicht regt sich, insbesondere aufseiten derjenigen Unternehmen, deren Geschäftszweck sich ganz oder zumindest teilweise auf die Gründung und Veräußerung der mit einer Erlaubnis nach § 1 AÜG ausgestatteten Vorratsgesellschaft ausgerichtet ist, wegen der damit verbundenen Beschränkung der unternehmerischen Betätigungsfreiheit und der nachhaltig nachteiligen wirtschaftlichen Auswirkungen Widerstand. Inzwischen hat die Frage, ob einer Vorratsgesellschaft eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis zu erteilen ist, die Sozialgerichte erreicht.
In einer aktuellen Entscheidung hat das SG Aachen diese Frage – im Übrigen vollkommen zu Recht – bejaht (Urt. v. 08.08.2022 – S 25 AL 4/21) und die BA verpflichtet, den klagenden Gesellschaften die Erlaubnis nach § 1 AÜG zu erteilen.
I. Zusammenfassung der Entscheidung
Die Klägerin zu 1) betreibt ein Unternehmen, das Dienstleistungen auf dem Gebiet der Vorrats- und Mantelgesellschaften anbietet. Zu dem Portfolio der Klägerin zu 1) gehört auch die beratende Begleitung von Veräußerungen der Gesellschaftsanteile juristischer Personen des Privatrechts, die sie zuvor bei der Antragstellung zur Erlangung einer Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung unterstützt. Die Gesellschaften sind dann bei der Veräußerung häufig bereits mit einer entsprechenden Erlaubnis ausgestattet. Die Klägerin zu 1) und die Beklagte stehen aufgrund der durch die Klägerin zu 1) angebotenen Dienstleistungen seit Jahren in einer Vielzahl von Antragsverfahren in Kontakt, wobei die Klägerin zu 1) regelmäßig im Verwaltungsverfahren als Vertreterin der von ihr beratenen juristischen Personen auftritt.
Im Rahmen der Vorkorrespondenz teilte die Beklagte der Klägerin zu 1) mit Schreiben vom 19.07.2019 mit, dass es in den letzten Monaten vermehrt vorgekommen sei, dass sich Käufer der unter Mithilfe der Klägerin zu 1) gegründeter Unternehmen als unzuverlässig erwiesen hätten, sodass Arbeitnehmerüberlassungserlaubnisse widerrufen worden seien. Aufgefallen sei insbesondere eine fehlende Bonität der Käufer. Die Beklagte forderte die Klägerin zu 1) auf, die Beantragung von Arbeitnehmerüberlassungserlaubnissen für Vorratsgesellschaften nicht fortzusetzen. Ggf. müsse eine zusätzliche Bonität von 10.000,00 EUR für jede Antragstellerin nachgewiesen werden. Gründe, die den bisher durch die Beklagte praktizierten Verzicht auf den Nachweis der zusätzlichen Bonität rechtfertigen würden, wären nicht ersichtlich. Die Klägerin zu 1) erklärte hierzu, dass sie bereit sei, die geforderte zusätzliche Bonität durch ein Darlehen, eine Zahlungsgarantie oder Bürgschaft der Unternehmensgründerin nachzuweisen. Die Beklagte erklärte, dass sie erwarte, dass bei Antragstellung das Stammkapital und weitere 10.000,00 EUR Bonität nachweisbar wären. In der Folge erklärte die Klägerin zu 1) ihr Einverständnis mit der Vorgehensweise, erläuterte jedoch auch die hieraus folgenden bilanzrechtlichen Problemstellungen.
Mit Schreiben vom 05.08.2020 wandte sich die Beklagte erneut an die Klägerin zu 1) sowie die X-GmbH, die Alleingesellschafterin der später gegründeten Klägerinnen zu 2) bis 31). Die Beklagte erklärte, dass sie ab dem 17.08.2020 eingehende Anträge auf Erteilung von Arbeitnehmerüberlassungserlaubnissen für Vorratsgesellschaften nicht mehr bewilligen werde.
Am 12.08.2020 erfolgte die Gründung von 30 Gesellschaften mit beschränkter Haftung, deren Alleingesellschafterin die X-GmbH ist. Die durch notarielle Verträge am 12.08.2020 gegründeten Klägerinnen zu 2) bis 31) haben ausweislich der Gesellschaftsverträge die Unternehmenszwecke der Verwaltung eigenen Vermögens sowie der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung und Personalvermittlung. Am 13.08.2020 reichte die Klägerin zu 1) für die Klägerinnen zu 2) bis 31) Anträge auf Erteilung von Arbeitnehmerüberlassungserlaubnissen bei der Beklagten ein.
Im Zeitraum 17.08.2020 bis 20.08.2020 wurden die Klägerinnen zu 2) bis 31) im Handelsregister eingetragen. Zum Gegenstand der Unternehmen weist das Handelsregister die Verwaltung eigenen Vermögens und die gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung aus. Als Grund- und Stammkapital sind jeweils 25.000,00 EUR eingetragen. Die Beklagte lehnte die Anträge vom 13.08.2020 mit Bescheiden vom 07.09.2020 ab. Mit Schreiben vom 25.09.2020 erfolgte die Einlegung von Widersprüchen unter dem Briefkopf der Klägerin zu 1). Die Beklagte wies diese am 28.12.2020 zurück.
Am 07.01.2021 haben die Klägerinnen zu 1) bis 31) Klage erhoben. Sie gehen davon aus, einen Anspruch auf Erteilung der Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung zu haben – mit Erfolg, wie das SG Aachen diesen ausdrücklich attestierte.
Das SG Aachen stellt zunächst fest, dass die Klage der Klägerin zu 1) unzulässig sei. Diese trete nur als Vertreterin der Klägerinnen zu 2) bis 31) auf und sei durch die angegriffenen Bescheide folglich nicht beschwert, sodass es an einem Rechtsschutzbedürfnis fehle.
Im Übrigen seien die Klagen begründet. Das SG Aachen geht davon aus, dass die angefochtenen Bescheide rechtswidrig seien. Die Klägerinnen zu 2) bis 31) hätten einen Anspruch auf Erteilung einer Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung.
Eine die Versagung der Erlaubnis rechtfertigende Unzuverlässigkeit des jeweiligen Antragstellers liege nicht vor. Bei dem Begriff der Zuverlässigkeit i.S.v. § 3 Nr. 1 AÜG handele es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff ohne Beurteilungsspielraum. Die Frage der Zuverlässigkeit sei als Rechts- und Tatfrage gerichtlich voll überprüfbar. Entsprechend dem Schutzzweck des AÜG komme es im Rahmen des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AÜG darauf an, ob die Eigenschaften und Merkmale des Überlassers eine Gefährdung des sozialen Schutzes des Arbeitnehmers befürchten ließen. Die Behörde müsse hierbei im Wege einer Prognose überprüfen, ob die ihr zur Beurteilung vorliegenden Tatsachen die Annahme begründeten, dass der Antragsteller bei seiner künftigen Überlassungstätigkeit die rechtlichen Vorschriften beachten werde. Maßgebend sei ein aus den vorhandenen tatsächlichen Umständen der Vergangenheit und der Gegenwart gezogener Schluss auf ein wahrscheinliches zukünftiges Verhalten des Antragstellers. Maßgebender Zeitpunkt für die Prüfung der Sach- und Rechtslage sei hinsichtlich des Verpflichtungsbegehrens im Hauptsacheverfahren der Schluss der mündlichen Verhandlung in der letzten Tatsacheninstanz. Führe die Prognose zu keinem klaren Ergebnis, gehe dies zulasten der Erlaubnisbehörde. Zu berücksichtigen sei, dass bei der Erlaubnisprüfung und -versagung zugunsten der Behörde eine Beweiserleichterung gelte; sie müsse – in einem Klageverfahren – nicht das Vorliegen des Versagungsgrundes selbst beweisen, sondern nur die Tatsachen dartun, die eine solche Annahme rechtfertigten (vgl. LSG Sachsen v. 27.08.2019 – L 3 AL 70/19 B ER; LSG Mecklenburg-Vorpommern v. 25.05.2020 – L 2 AL 37/19 B ER).
Die Beklagte habe allerdings entsprechende Tatsachen, die die Annahme der Unzuverlässigkeit der Klägerinnen zu 2) bis 31) rechtfertigten, nicht dargelegt. Die Argumentation der Beklagten, dass die Klägerinnen zu 2) bis 31) gar keine Arbeitnehmerüberlassung hätten betreiben wollen, verfange nicht. Die Klägerinnen zu 2) bis 31) seien Kapitalgesellschaften, deren Gesellschaftszweck – neben der Verwaltung eigenen Vermögens – die gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung und die Personalvermittlung sei. Dies ergebe sich aus den Gesellschaftsverträgen und den Eintragungen im Handelsregister. Die Klägerinnen zu 2) bis 31) beabsichtigten – ebenso wie andere zuvor unter Beratung der Klägerin zu 1) gegründete Gesellschaften – gewerbsmäßig als Überlasser aufzutreten. Dies solle – und insofern rechtfertige sich die Bezeichnung als Vorratsgesellschaft – jedoch nicht unmittelbar nach Gründung und Erteilung der Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis erfolgen, sondern erst nach Veräußerung der jeweiligen Geschäftsanteile an bislang nicht bekannte Erwerber. Die Klägerinnen zu 2) bis 31) beabsichtigten daher ihren Geschäftsbetrieb hinsichtlich des Gesellschaftszwecks der Arbeitnehmerüberlassung und Personalvermittlung erst nach einem Wechsel der Gesellschafter und der Einsetzung einer neuen Geschäftsführung sowie einer etwaigen Umfirmierung aufzunehmen. Dass die Aufnahme der Tätigkeit der Arbeitnehmerüberlassung erst verzögert zur Erteilung der Erlaubnis erfolge, sei dem AÜG immanent. Die Erlaubnis sei regelhaft vor Aufnahme des Betriebs zu beantragen; selbiger könne (rechtmäßig) erst nach erteilter Erlaubnis aktiviert werden. Das vor Aufnahme der Arbeitnehmerüberlassung zu durchlaufende Verwaltungsverfahren setze keine aktive Überlassertätigkeit auf dem Arbeitsmarkt voraus. Aufgrund der bei Antragstellung unbekannten Dauer des Erlaubnisverfahrens würden bei Erstanträgen regelmäßig keine bereits gültigen Arbeits- oder Überlassungsverträge vorgelegt, die durch die Beklagte geprüft werden könnten. Regelhaft müssten – wie auch im vorliegenden Fall – Musterverträge eingereicht werden. Das Erlaubnisverfahren sei folglich grundsätzlich vor Aufnahme der Überlassertätigkeit zu durchlaufen, sodass allein der fehlende Geschäftsbetrieb den Klägerinnen zu 2) bis 31) selbigen nicht entgegengehalten werden könne. Das AÜG selbst sehe eine Frist, binnen derer nach Erlaubniserteilung der Betrieb aufzunehmen sei, nicht vor. Eine solche lasse sich – mangels der dafür erforderlichen Regelungslücke – auch nicht in die gesetzlichen Regelungen hineinlesen. Entsprechende zeitliche Bindungen zur Aktivierung von Erlaubnissen seien beispielsweise aus dem Bauordnungsrecht hinlänglich bekannt, z.B. § 77 Abs. 1 LBO NRW. Derartige bzw. vergleichbare Bestimmungen zur „Aktivierung“ der Erlaubnis nach § 1 AÜG habe der Gesetzgeber allerdings nicht vorgesehen, sondern diese bewusst der wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit der Antragsteller überlassen.
Die Regelungen des AÜG ließen vielmehr ein Instrumentarium zur Reaktion auf die Veräußerung von juristischen Personen, die mit einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis ausgestattet seien, erkennen. In § 7 Abs. 1 AÜG sei eine Anzeigepflicht vorgesehen, wenn die Erlaubnis Personengesamtheiten, Personengesellschaften oder juristischen Personen erteilt sei und sodann eine andere Person zur Geschäftsführung oder Vertretung nach Gesetz, Satzung oder Gesellschaftsvertrag berufen werde. Auf Grundlage dieser Regelung werde erkennbar, dass der Gesetzgeber den Fall der Veräußerung einer mit einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis ausgestatteten juristischen Person, die regelmäßig mit einem Wechsel der Geschäftsführung und der Verlegung des Gesellschaftssitzes verbunden sei, erkannt und entsprechende Bestimmungen aufgenommen habe. Allein der Umstand, dass die Gesellschaftsanteile der Klägerinnen zu 2) bis 31) vor Aufnahme der Überlassertätigkeit veräußert würden, rechtfertige daher nicht die Annahme der von der Beklagten daraus abgeleiteten Unzuverlässigkeit.
Gerade die Zusammenschau von § 7 Abs. 1 und 2 AÜG zeige, dass nach einer Veräußerung eine erneute Prüfung der Zuverlässigkeit erfolgen könne. Dabei stehe der Beklagten – wie bei der Antragstellung – ein umfängliches Prüfinstrumentarium zur Verfügung, das in begründeten Fällen – neben der Anforderung von Unterlagen – ebenfalls das Betreten von Geschäftsräumen nach § 7 Abs. 3 AÜG einschließe. Auf Grundlage der nach Veräußerung neuerlich durchzuführenden Ermittlungen sei bei entsprechenden Ergebnissen, aus denen die Unzuverlässigkeit abgeleitet werden könne, ein Widerruf der Erlaubnis nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 AÜG möglich. Damit würden die Regelungen des AÜG auch bei den von Klägerin zu 1) begleiteten Unternehmensgründungen mit anschließender Veräußerung eine umfassende Prüfung der Zuverlässigkeit ermöglichen. Werde diese nach Prüfung verneint, könne die Erlaubnis entsprechend § 5 Abs. 1 Nr. 3 AÜG widerrufen werden. Mit zeitnahen und konsequenten Prüfungen durch die Beklagte könne die nach § 2 Abs. 4 S. 4 AÜG vorgesehene begrenzte Fortwirkung der Erlaubnis so zum Schutz der Zeitarbeitnehmer effektiv beschränkt werden. Dass diese Vorgehensweise ggf. einen vermehrten Verwaltungsaufwand bzw. ein Abweichen von der bisherigen Verwaltungspraxis, die eine umfassende Prüfung bei Veräußerung bislang nicht vorgesehen habe, bedinge, führe nicht zur Zulässigkeit einer grundsätzlichen Versagung von Erlaubnissen für juristische Personen, deren Veräußerung geplant sei.
Die Nutzung des gesetzlich vorgesehenen Eingriffsinstrumentariums durch die Beklagte stelle gegenüber der generellen Versagung der Erlaubnisse allein aufgrund der avisierten Veräußerung ein milderes und dem Regelungskonstrukt des AÜG entsprechendes Mittel dar, das zur Wahrung der Rechte der Zeitarbeitnehmer bei konsequenter Umsetzung nicht minder geeignet erscheint. Der Beklagten bleibe es im Übrigen unbenommen, Erlaubnisse an zur Veräußerung vorgesehene Kapitalgesellschaften nach Prüfung im Einzelfall gem. § 2 Abs. 2, 3 AÜG mit Auflagen, Bedingungen oder einem Widerrufsvorbehalt zu versehen.
Dass die Beklagte indessen von den ihr zur Verfügung stehenden Eingriffsmitteln nach Veräußerung und Aufnahme der Überlassertätigkeit nicht oder nicht im nach dem Schutzzweck des AÜG gebotenen Umfang Gebrauch mache, ließen die übersandten weiteren Verwaltungsvorgänge erkennen. [Anm.: wird anhand von konkreten Beispielen weiter ausgeführt.] Dass sich diese späte Prüfung im Einzelfall ggf. als zum Schutz der Zeitarbeitnehmer nicht rechtzeitig erweise, rechtfertige allerdings nicht die generelle Versagung von Erlaubnissen an Kapitalgesellschaften, deren Veräußerung geplant sei. Aufgrund der durch die Beklagte mitgeteilten Bedenken sollte sich diese vielmehr veranlasst sehen, die ihr zur Verfügung stehenden Eingriffs- und Auflageninstrumentarien konsequent und frühzeitig einzusetzen.
Auch die weitergehend gegen die Zuverlässigkeit der Klägerinnen zu 2) bis 31) angeführten Argumente der Beklagten überzeugten das SG Aachen – vollkommen zu Recht – nicht. Der Vortrag der Beklagten hinsichtlich weiterer, von dieser aufgeworfenen Aspekte, die die fehlende Zuverlässigkeit der Klägerinnen zu 2) bis 31) belegen sollten, bliebe vage. Vielfach hätten sich diese bei genauer Nachfrage als bloße Vermutungen herausgestellt; diese seien daher für die Annahme der Unzuverlässigkeit keine ausreichenden Tatsachengrundlagen. Die Beklagte führe u.a. an, dass die von der Klägerin zu 1) beratenen Unternehmen nach Veräußerung in zunehmend größerer Zahl von Widerrufen der Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis oder Ablehnung von Verlängerungsanträgen betroffen seien. Dass dies tatsächlich der Fall sei, habe die Beklagte auch auf weitergehende Nachfrage im Verhandlungstermin nicht anhand einer Statistik oder konkreter Fallzahlen belegen können. Konkretes Zahlenmaterial fehle ebenfalls für die Annahme, dass Verlängerungsanträge aufgrund einer Unzuverlässigkeit überdurchschnittlich häufig abgelehnt worden seien.
Allein die von der Beklagten weiter vorgetragene und von der Klägerseite bestrittene Annahme, dass eine Veräußerung von Vorratsgesellschaften an „Osteuropäer“ erfolge, lasse belastbare Rückschlüsse auf eine Unzuverlässigkeit nicht zu. Welche grundsätzlichen Bedenken die Beklagte mit Blick auf die Zuverlässigkeit nach § 3 AÜG bei einer Veräußerung eines Unternehmens an „Osteuropäer“ habe, habe sie nicht weiter erläutert. Rechtlich haltbar sei die Argumentation, die ohne Tatsachenanbindung nur die Bedienung eines Klischees darzustellen scheine, nicht. Sie sei im Übrigen mit dem Rechtsgedanken nach § 3 Abs. 4 AÜG nicht zu vereinbaren, der eine Gleichbehandlung von deutschen Staatsangehörigen und Staatsangehörigen der EWG vorsehe.
Letztlich verfange auch die Argumentation der Beklagten zu den geäußerten Zweifeln an der Bonität der Klägerinnen zu 2) bis 31) nicht. Die Beklagte vermute, dass das Stammkapital bei Eintragung der Klägerinnen zu 2) bis 31) nicht ordnungsgemäß eingebracht worden sei und bei einer Veräußerung nicht an den Erwerber übergeben werde. Für letztere Behauptung habe die Beklagte keine Tatschen aus der Vergangenheit vorgebracht, die eine entsprechende Prognose tragen würden. Eine gesellschaftsrechtliche Verpflichtung dahingehend, dass das Stammkapital bei Veräußerung als liquide Mittel zur Verfügung stehe, bestehe nicht. Dieses könne bereits vor Veräußerung und nach Eintragung verbraucht sein. Sofern die Beklagte entsprechende Bedenken aus dem Blickwinkel der Arbeitnehmerüberlassung bezüglich der Zahlungsfähigkeit der Gesellschaften habe, bestehe die Möglichkeit, entsprechende Nachweise nach Veräußerung bei den Klägerinnen zu 2) bis 31) anzufordern. Dies scheine die Beklagte in der Vergangenheit bei ähnlich gelagerten Sachverhalten nicht getan zu haben, sodass entsprechende Rückschlüsse nicht auf Tatsachenermittlungen basierten. An dieser Stelle dürfte die Beklagte die ihr zur Verfügung stehenden Mittel, z.B. die Sicherung der Zahlungsfähigkeit durch Auflagen, ebenfalls nicht ausschöpfen.
Die Einbringung des Stammkapitals bei Errichtung der Klägerinnen zu 2) bis 31) sei hingegen im Handelsregister eingetragen worden. Nach § 15 Abs. 2, 3 HGB sei grundsätzlich davon auszugehen, dass das Stammkapital eingebracht worden sei. Die Beklagte scheine im Übrigen unzutreffend davon auszugehen, dass die Erbringung der Stammeinlage eine verfügbare Bareinlage von 25.000,00 EUR erfordere. Dies sei unter Beachtung von § 19 Abs. 4, 5 GmbHG jedoch nicht der Fall. Danach bestehe unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, dass die Stammeinlage erbracht sei, obwohl vor der Einlage eine Leistung der Gesellschaft an den Gesellschafter vereinbart worden sei, die wirtschaftlich der Rückzahlung der Einlage entspreche. Die Voraussetzungen der Erbringung der Stammeinlage unter den Voraussetzungen des § 19 Abs. 5 GmbHG prüfe das Registergericht, dem die vertraglichen Vereinbarungen zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern offenzulegen seien (vgl. BGH v. 16.02.2009 – II ZR 12/07). Anhaltspunkte, dass die Klägerinnen zu 2) bis 31) die Prüfung durch das Registergericht nicht ordnungsgemäß durchlaufen hätten, habe die Beklagte nicht vorgebracht. Die Behauptung, dass die Stammeinlage der Klägerinnen zu 2) bis 31) nicht eingebracht worden sei, erweise sich so als nicht haltbar. Das AÜG enthalte im Übrigen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass Gesellschaften mit beschränkter Haftung, deren Einlage nach § 19 Abs. 5 GmbHG erbracht worden sei, wegen einer fehlenden Kapitalisierung grundsätzlich unzuverlässig wären.
Das Erfordernis einer zusätzlichen Bonität von 10.000,00 EUR – wie von der Beklagten verlangt – sei nicht zu stellen. Die Beklagte habe diese Notwendigkeit – wie sie selbst mitteile – zunächst über einen Zeitraum von mehreren Jahren nicht gesehen, auch wenn dies der eigenen Weisungslage widersprochen habe. Die Anforderung der zusätzlichen Bonität von 10.000,00 EUR sei – so die Beklagte – zur Quasierhöhung des Kaufpreises eingeführt worden. Ziel der Beklagten sei es – nach eigenem Bekunden – im Bereich der Erteilung einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis einen nennenswerten Antragsrückgang zu erzielen und die Antragstellung durch Vorratsgesellschaften grundsätzlich zu unterbinden. Dass es sich hierbei um sachfremde und zweckwidrige Erwägungen handele, liege – so das SG Aachen – auf der Hand. Die Anhebung von tatsächlichen Hürden ohne entsprechend belastbare Tatsachengrundlage zur Vermeidung von Einzelfallprüfungen sei mit einem ordnungsgemäßen Verwaltungshandeln nicht vereinbar.
II. Bewertung
Die Entscheidung des SG Aachen überzeugt sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung und stärkt – vollkommen zu Recht – die grundrechtlich geschützte Berufsausübungs- und unternehmerische Betätigungsfreiheit, die ebenfalls Modelle einschließt, die von der BA als unerwünscht deklariert werden, aber (offensichtlich) nicht gegen geltende gesetzliche Bestimmungen verstoßen.
Die BA – und darauf weist das Gericht in dessen Argumentation hin – steht nach einer Veräußerung der mit einer Erlaubnis nach § 1 AÜG ausgestatteten Gesellschaft, die – wie regelmäßig – mit einem anzeigepflichtigen Wechsel der Geschäftsführung verbunden ist, ein umfängliches Prüfungsrecht nach § 7 AÜG zu, um die Zuverlässigkeit der Vertreter der Gesellschaft kontrollieren zu können. Davon schien die BA in der Vergangenheit wohl nicht bzw. nicht in dem erforderlichen Maße Gebrauch gemacht zu haben. Zu Recht geht das SG Aachen davon aus, dass die BA das Kind nun nicht mit dem Bade ausschütten darf, indem grundsätzlich die Erteilung von Erlaubnissen nach § 1 AÜG an Vorratsgesellschaften verweigert wird. Eine Unzuverlässigkeit kann nicht abstrakt unterstellt, sondern muss in jedem Einzelfall konkret festgestellt werden. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit sind über die Überprüfung nach § 7 AÜG unzuverlässige Personen aus dem Rechtsverkehr herauszufiltern – genau dies ist die originäre Kernaufgabe der BA und nicht der „Boykott“ von kreativen und innovativen Geschäftsmodellen, selbst wenn diese für die Behörde ein Dorn im Auge darstellen sollten.
Keinen Gefallen hat sich die BA sicherlich mit der Argumentation getan, dass eine Veräußerung von Vorratsgesellschaften – wohl überwiegend – an (unzuverlässige) „Osteuropäer“ erfolge. Das SG Aachen entlarvt diese Argumentation als schlichtes Klischee, wenn die BA aus der Herkunft bzw. der Staatsbürgerschaft der (neuen) Geschäftsführer per se eine Unzuverlässigkeit abzuleiten gedenkt. Dass dies nicht dem Geiste der heutigen Zeit entspricht, liegt auf der Hand. Zumindest sollte man mit solchen „Vorverurteilungen“ vorsichtig sein, wenn diese nicht mit entsprechenden Fakten hinterlegt werden können. Solche konnte die BA zumindest in dem Rechtsstreit vor dem SG Aachen nicht präsentieren.
Auch die von der BA vorgebrachten gesellschaftsrechtlich im Gründungs- bzw. Übertragungsvorgang verorteten Argumente gegen die Zulässigkeit werden vom SG Aachen überzeugend zurückgewiesen. Dies gilt insbesondere für das von der BA – mehr oder weniger – „frei erfundene“ Erfordernis einer zusätzlichen Bonität in Höhe von 10.000,00 EUR. Diese wurde schlichtweg aus sachfremden und zweckwidrigen Erwägungen eingeführt, um die seitens der BA unerwünschte Gründung und Veräußerung von Vorratsgesellschaften mit einer Erlaubnis nach § 1 AÜG zu erschweren.
Gegen das Urteil ist inzwischen Berufung zum LSG Nordrhein-Westfalen eingelegt worden. Das Verfahren ist dort unter dem Az. L 9 AL 169/22 anhängig. Wann über das von der BA eingelegte Rechtsmittel entschieden wird, kann nicht sicher prognostiziert werden.
Erfreulich ist, dass sich der oben dargestellten Ansicht der 25. Kammer inzwischen die 10. Kammer des SG Aachen angeschlossen hat. Mit vergleichbaren Argumenten wurde der Bescheid der BA zur Rücknahme der einer Vorratsgesellschaft erteilten Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis wegen einer vorgeblichen Unzuverlässigkeit aufgehoben (Urt. v. 07.12.2022 – S 10 AL 205/21).
Auch das SG Düsseldorf sieht die Gründung von Vorratsgesellschaft mit Überlassungserlaubnis grundsätzlich als zulässig an. Im Rahmen eines Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz hat die 37. Kammer festgestellt, dass der Widerruf der einer Vorratsgesellschaft erteilten Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis offensichtlich rechtswidrig sei. Das Gericht hat die vom betroffenen Antragsteller beantragte aufschiebende Wirkung des gegen den Widerruf eingelegten Widerspruchs angeordnet (Beschl. v. 01.08.2022 – S 37 AL 340/22 ER; a.A. hingegen: SG Frankfurt v. 01.09.2022 – S 15 AL 168/22 ER, allerdings mit einer wenig überzeugenden Begründung, nach der sich die Unzuverlässigkeit u.a. aus vorgeblichen Falschangaben im Antragsverfahren ergeben solle; bestätigt durch: Hess. LSG v. 07.11.2022 – L 7 AL 67/22 B ER, ohne dass sich das Gericht inhaltlich aber vertiefend mit der Begründung der ersten Instanz auseinandersetzt).
Dieser Beitrag ist an einen Artikel in der Februar-Ausgabe des „Infobriefs Zeitarbeit“ angelehnt, in dem wir jeden Monat über aktuelle Entwicklungen in Zusammenhang mit dem Einsatz von Fremdpersonal informieren.
Dr. Alexander Bissels, Partner,
und Dr. Jonas Singraven, Senior Associate,
Rechtsanwälte und Fachanwälte für Arbeitsrecht,
CMS Hasche Sigle, Köln